Lebenshilfe Braunschweig
Drucken Text vergrößern Text normalisieren Text verkleinern
08.03.2021

Na klar! Weltfrauentag: „Die Angst vor dem ersten Weg nehmen“

Der 8. März ist seit 1911 der "Internationale Tag der Frauen", an dem weltweit auf Frauenrechte und Gleichstellung aufmerksam gemacht wird.

“Ein wichtiges Thema ist Gewalt: jede Form von sprachlicher, psychischer, körperlicher oder digitaler Gewalt.“ Sevim Kubat braucht nicht lange, um eine der anspruchsvollsten Aufgaben zu beschreiben. Gemeinsam mit ihrer Stellvertreterin Annette Stoll ist sie gewählte Frauenbeauftragte in den Werkstätten der Lebenshilfe Braunschweig.

Breites Themenspektrum

Es ist ein breites Spektrum, für das die beiden Ansprechpartnerinnen ein Ohr und am besten auch gleich einen Rat haben. „Wir wollen auf Augenhöhe agieren, auch bei den Themen Gleichstellung von Männern und Frauen sowie Vereinbarkeit von Familie und Beschäftigung“, erklärt Annette Stoll.

Interessen vertreten

"Wir informieren weibliche Werkstattmitarbeitende über ihre Rechte und helfen ihnen, Grenzen und deren Überschreitungen zu erkennen“, erläutern die beiden Frauen, die vor zwei Jahren das damals neue Amt übernommen haben. „Das gilt für Vorkommnisse in der Werkstatt, viel häufiger aber auch für Erlebnisse im privaten Umfeld, die Einfluss auf die Befindlichkeit, Gesundheit und das Verhalten der Frauen haben."

Gleichzeitig gehöre es zu ihren Aufgaben, im Austausch mit Werkstattleitung und Werkstattrat die Interessen dieser Frauen zu vertreten. Wichtig dafür sei auch Unterstützerin Manuela Brinkmann, die den Frauenbeauftragten bei ihrer Aufgabe assistiere.

Gemeinsam stark sein

"Gemeinsam können wir richtig stark sein“, sind sich die beiden Frauenbeauftragten einig. „Wir können zuhören und, wenn es gewünscht wird, auch handeln.“ Oft seien betroffene Frauen gehemmt: „Sie haben Angst vor dem ersten Weg“, formuliert es Sevim Kubat treffend. Annäherung und Vertrauen seien deshalb besonders wichtig: „Wir haben noch einige Ideen, um für diese Tabu-Themen behutsam zu öffnen: Leider konnten wir aber wegen Corona weder ein Frauen-Café mit Kaffeeklatsch noch niedrigschwellige Sprechstunden und Informationsrunden an unseren verschiedenen Standorten anbieten.“

Scheu und Scham

Die Lebenshilfe Braunschweig habe, gerade in den vergangenen Jahren, gemeinsam mit Psychologen, Sozialdienst, Führungskräften und verschiedenen Gremien viel Wert auf Konfliktlösung und gewaltfreien Umgang auf allen Ebenen gelegt. „Doch Scheu und Scham hindern Frauen oft daran, auf uns zuzugehen und Hilfe zu suchen“, erklärt Annette Stoll. „Dabei sind wir zunächst einmal zum Schweigen verpflichtet.“

Verständnis und Vertrauen

Sevim Kubat ist sich sicher: „Wer unseren Rat sucht, dem können wir Möglichkeiten aufzeigen, um bei Grenzüberschreitungen besser reagieren zu können. Schon einen Kaffee zusammen zu trinken, kann manchmal helfen. Ein Selbstverteidigungskursus übrigens auch.“ Entscheidend sei doch, in einen Austausch zu kommen: „Entwickelt sich Verständnis und Vertrauen?“

Besondere Gefährdung

Auf dem ersten bundesweiten Fachtag der Werkstatt-Frauenbeauftragten 2019 betonte Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: „Frauen mit Beeinträchtigung sind besonders gefährdet, Opfer von Diskriminierung und Gewalt zu werden. Sie brauchen starke Frauen, die ihnen zur Seite stehen. Deshalb ist es gut und wichtig, dass es Frauenbeauftragte gibt.“

Diskriminierung

Nach einer Studie der Universität Bielefeld haben 58 bis 75 Prozent der Frauen mit Beeinträchtigung im Erwachsenenalter körperliche Gewalt erlebt. Das sind fast doppelt so viele Frauen wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Von sexueller Gewalt im Erwachsenenleben waren sie zwei- bis dreimal häufiger als der weibliche Bevölkerungsdurchschnitt betroffen. Zudem erlebten sie signifikant häufiger als Männer geschlechtsspezifische Diskriminierungen, Grenzüberschreitungen und Strukturen, die Gewalt begünstigten.

Rechte kennen und einfordern

„Indem wir den Betroffenen als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung stehen, können wir sie dabei unterstützen, ihre Rechte selbst wahrzunehmen, betont Annette Stoll. „Denn nur wenn Frauen ihre Rechte kennen, können sie ihre Rechte einfordern.“ Dies passt auch zu dem bundesweiten Netzwerk der Frauenbeauftragten: es heißt „Starke.Frauen.Machen.“

Krisen in Corona-Zeiten

„Während der Corona-Pandemie gibt es vermehrt häusliche Gewalt, Ängste und Panik-Attacken“, erzählt Sevim Kubat. „Wir wissen das und können nur sagen: Bitte traut Euch, uns per Mail, am Telefon oder per Videoschaltung anzusprechen. Uns liegt wirklich etwas daran zu helfen!“

Text:: Elke Franzen
Fotos: Lebenshilfe_David Maurer | Jonas Scheiffele | Elke Franzen

_________________________________
Selbstvertretung – Na klar!“ so heißt eine Kampagne der
Bundesvereinigung Lebenshilfe. Sie macht auf Mitbestimmung durch Werkstatträte, Vorstände, Frauenbeauftragte, Bewohnervertretungen und andere aufmerksam.

Wir finden, es gibt auch im Alltag viele Momente, in denen man für sich oder andere stark sein kann. Mitmacht und mitredet. Wenn man etwas organisiert oder unterstützt, was für einen selbst und andere wichtig ist. So kann man mitgestalten und mitentscheiden.

Selbstbestimmung. Selbstvertretung. Selbstvertrauen.
Na klar!